Flüssiges

Wie wenige haben sich noch in die Geheimnisse des Flüssigen vertieft, und manchem ist diese Ahnung des höchsten Genusses und Lebens wohl nie in der trunkenen Seele aufgegangen. Im Durste offenbart sich diese Weltseele, diese gewaltige Sehnsucht nach dem Zerfließen. Die Berauschten fühlen nur zu gut diese überirdische Wonne des Flüssigen, und am Ende sind alle angenehmen Empfindungen in uns mannigfache Zerfließungen, Regungen jenes Urgewässers in uns. Selbst der Schlaf ist nichts als Flut jenes unsichtbaren Weltmeeres und das Erwachen das Eintreten der Ebbe. Wie viele Menschen stehen an den berauschenden Flüssen und hören nicht das Wiegenlied dieser mütterlichen Gewässer und genießen nicht das entzückende Spiel ihrer unendlichen Wellen.
Novalis
Die Lehrlinge zu Sais

Schlagwörter: Fluss Gewässer Seele



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Herbert Klaeren